Der Viktualienmarkt

Deutschland 2003/04
Regie und Drehbuch: Steffi Kammermeier
90 Minuten

Drehen auf und um den Viktualienmarkt…

Viktualienmarkt, Gourmetmeile, Lebensfreude pur! Was fallen einem da alles für Bilder ein! Kaskaden von Früchten, Gemüse, Exoten! Berge von Fleisch, Wurstspezialitäten, Fisch! Spezereien aus Frankreich, Italien, aus der ganzen Welt. Nichts, was der berühmteste Lebensmittelmarkt der Welt nicht zu bieten hätte. Ein Schlaraffenland, ein Eldorado.
Die Stände quellen die Stände schier über von Überfluss, von erlesener Ware, aller Art von Essbaren. Ein Augenschmaus, Schaufenster der Ess- und Lebenslustigen. Doch ach, irgendwann haben sich die hungrigsten Augen satt gesehen, und irgendwann wird auch klar, dass das, was vordergründig so selbstverständlich feilgeboten wird, die Frucht harter Arbeit ist. Dass da ein Heer von Menschen täglich antritt, um auf höchstem Niveau das beste, was an Lebensmitteln zu bekommen ist, an den Mann, bzw. die Frau zu kriegen. Und so wollten wir eigentlich von Anfang an einen Film machen, der sich mehr mit den Hintergründen als optisch illustren Vordergründen beschäftigt. Mit dem Leben der Händler, auch derer, die dort beinahe täglich verkehren, auf „ihrem“ Markt, in „ihrem“ Wohnzimmer.

Ludwig Freisinger, Foto: ©BR

Ludwig Freisinger, Foto: ©BR

Dazu gehören auch etliche „Penner“, die wie Spatzen auf Brotkrumen hoffen und tagein, tagaus um den Markt streifen. Da unser Filmteam prinzipiell sehr behutsam mit Protagonisten umgeht, gab es nie Ärger mit den Menschen. Dabei gab es einige, die nicht vor die Kamera wollten. Zum Beispiel im Biergarten, wenn einer an dem Tag gerade „blau“ machte und der Chef natürlich nichts davon wissen sollte. Oder aber ein Pärchen, das bemerkte, dass wir sie gefilmt hatten und uns baten, die Bilder nicht zu veröffentlichen. Nicht auszudenken, wenn die Ehefrau im Fernsehen sehen muss, mit wem der Mann die Freizeit verbringt, die er angeblich im Sportverein zubringt…
Den Markt als Ganzes erfassen, das heißt natürlich, lange recherchieren, immer wieder hingehen auf den Markt, schauen, beobachten, nachfragen. Tag, Nacht, bei Regen, bei Schnee. Schnell wird klar, dass das Leben am Viktualienmarkt rund um die Uhr stattfindet, nicht nur zu Öffnungszeiten. Das Wetter spielt keine Rolle, nur ob einer die richtige Kleidung an hat. Aber da die meisten im Zwiebellook mehrschichtig angezogen sind, sind sie für alle Wetterlagen gerüstet. Da gibt es kein Pardon für die Händler. Ob sie müde, lustlos oder erkältet, traurig oder froh gestimmt sind: das Standl muss aufmachen. Kommt es allerdings ganz schlimm, wie bei den Forstners von der „Bäckerliesl“, weil Josef Forstner – ein Prügel Mannsbild – sich beide Handgelenke gebrochen hatte, dann muss der Stand schließen. Die Händler auf dem Markt sind das Filmen beinahe gewohnt, dementsprechend lässig gehen sie mit einem Filmteam um. Die meisten schauen schon nicht einmal mehr hin, wenn sich ein Objektiv auf sie richtet… Kein Wunder, denn kaum eine Woche vergeht, in dem nicht irgendein Sender einen kleinen Bericht über den Markt im Programm hat.

Am Gemüsestand, Foto: ©BR

Am Gemüsestand, Foto: ©BR

Dass da aber einer, oder vielmehr eine sich so genau interessiert für sie, für ihr hartes Leben auf dem Markt, dass da ein Filmteam Tag und Nacht mit ihnen auf dem Pflaster steht, das hatten sie dennoch nicht erwartet. Und vielleicht hat es dem einen oder anderen ein kleines „Respekt“ abgerungen, weil wir eben schon wieder um drei Uhr Morgens da standen, bei strömendem Regen notfalls, oder bei frostiger Morgenkälte. Schön, wenn man so nach und nach erkannt wird, wenn einem der eine oder andere Händler schon aus der Ferne zuwinkt, nachfragt, ob die Aufnahmen vorige Woche gut geworden sind und einem Geschichten aus dem Leben erzählt. Da fühlt man sich beinahe wie Teil dieser großen Familie, die unseren Fragen ja so bereitwillig Rede und Antwort steht.
Vierzig Tage, bzw. Nächte standen wir auf dem Markt, beobachteten bei klirrender Kälte, eingemummelt in dicke Jacken, Mützen, Handschuhe, wie Lieferanten mit der Ware kommen, Händler ihre Standl in Kraft raubender Arbeit täglich neu aufbauen müssen, wie Kunden ihre Einkäufe schon am frühen Morgen abläuft, wenn beispielsweise bei Karnoll der Kaffee aufgebrüht ist und die durstigen, teils noch schlaftrunkenen Kollegen ankommen, ihre ersten Tassen holen, Oder ja auch wir, die wir schon um ein Uhr am Markt standen und jetzt froh waren, etwas Warmes in den Bauch zu kriegen.

In die berühmte Schmalznudel

Gegenüber kommt dann der Lieferant zur Bäckerliesl, der panische Angst vor Hunden jeder Größe hat, obwohl er ein Mordstrum Kerl ist. Der fürchtet sogar meinen lammfrommen Retriever-Mischling, den ich manchmal mit zum Drehen mitnehmen musste und der nicht einmal weiß, wie beißen geht. Lieber geht der Hund sowieso zum Nachbarn schräg gegenüber, zum Natursafteck und bettelt hingebungsvoll um Wurstreste, die der tierliebe Julius Winkelhofer ihm bereitwillig kredenzt. Ein guter Anknüpfungspunkt, mit Julius zu reden. Über seine Liebe zum Tier, zur Natur landet man schnell bei seiner großen Leidenschaft, dem Schwammerlsuchen. Da leuchten die Augen vom Julius – der im Übrigen richtig philosophisch sein kann – wenn er dann von den riesigen Steinpilzen berichtet, die er schon gefunden hat. Fotografiert habe er sie, aber den Film vergessen. Oder aber er erzählt von der „Wagenladung“ Pilze, die er in seinem Campingwagen in die Tiefkühltruhe gesteckt habe, die dann aber aufgetaut sei, weil der Nachbar versehentlich den Strom abgeschaltet hatte. Ohne die Natur würde Julius den harten Alltag nicht so überstehen. In der Tat wirkt er sehr robust, ausgeglichen, stark- Dass es im Hintergrund aber nicht ganz unproblematisch abläuft, dass seine Frau schwer krank ist, er jedoch mit Gleichmut die tägliche Arbeit verrichtet, davon merkt man ihm kaum etwas an.
Es ist eh kaum Platz für die kleinen und großen persönlichen Katastrophen, die Desaster. Der täglich Kundenverkehr bringt einem schnell die Strategie bei, mit der Probleme verdrängt und weggepackt werden. Lamentieren tut hier sowieso keiner (außer über die schlechten Umsätze, die teilweise wirklich nicht gut sind, vor allem seit der Euro eingeführt ist). Was nutzt es auch? Wenn die Frau einem weggelaufen ist, wenn man vor lauter Rheuma kaum einen Schritt mehr machen kann, wenn die Kinder daheim krank sind? Das Leben muss weitergehen, also improvisiert man, beißt die Zähne zusammen – und macht weiter. Dafür grantelt man auf anderen Ebenen: Über die Bauarbeiten, bei denen eine Gasleitung in alle Standl gelegt wird, die die Hälfte der Händler nicht wollen. Oder – sehr beliebt – über die mangelnden Parkplätze (allerdings wirklich eine Katastrophe) – Oder aber über die Taubenplage auf dem Markt.
Die Begegnung mit Erika Scherer hat uns da förmlich die Augen geöffnet. Deren beständiger Kampf gegen ein altes Taubenmutterl, die jährlich gut tausend Euro für Futter ausgibt, weil sie die armen Viecherl so bedauert, hat uns immer wieder herrliche Situationen beschert. Dabei haben wir die Dame nie gesehen. Wie einem Phantom sind wir dem Taubenmutterl nachgejagt. Nie haben wir sie bei frischer Tat ertappen dürfen, nur ihre Spuren entdeckt. Schon begannen wir, jeder alten Frau mit Einkaufswagerl nachzuschauen, weil wir dahinter die ominöse „Verbrecherin“ vermuteten. Einmal nur habe ich sie sehen können, aus der Ferne, und – wie es oft so ist – gerade ohne Kamera. Da gab es gerade einen Streit zwischen der Taubenhasserin, dem Taubenmutterl und einer tränenreichen Mitstreiterin, die eine halbtote Taube in der Hand hielt und eindrucksvoll das grausige Schicksal der armen hungernden Stadttauben beklagte. Wie gerne hätte ich da mein Team dabei gehabt.
So manches ließ sich nicht so darstellen, wie wir es erhofft hatten. Ein Ausflug in die Oberpfalz zu Schwammerlsuchern, die Renate Zollners Stand beliefern, bescherte uns zum Beispiel lediglich ein halbleeres Körberl an Ausbeute. Sonst gebe es viel mehr, beteuerten die beiden. Mei, so Schwammerl wachsen eben nicht auf Befehl, auch wenn man nur an eben dem einen Tag ein Team zur Verfügung hat. Ebenso aufregend gestaltete sich der Versuch, den Viktualienmarkt im Tiefschnee zu filmen. Zweimal ritten wir an – um festzustellen, dass inzwischen die weiße Pracht schon wieder am Schmelzen war. Erst beim dritten Anlauf gab es dann die erhofften dicken Schneeflocken, die den Markt in Watte tauchten. Auch da musste das Team schon um fünf Uhr aus den Federn, um rechtzeitig vor Ort zu sein.
Ein ganzes Jahr auf dem Markt heißt natürlich auch, an Heiligabend zur Stelle zu sein. Um drei Uhr früh herrscht an diesem Tag schon reger Betrieb, der erst abebbt, wenn auch die letzten Händler geschlossen haben. Die wenigsten kommen da so recht zu Weihnachtsvorbereitungen, die meisten schlafen unterm Christbaum ein, weil sie schon so früh auf den Beinen sein mussten. Auch bei mir hieß es, zwei Kinder bei der Oma unterzubringen, den Baum schon zwei Tage vorher zu dekorieren, um wenigstens ab fünf Uhr Nachmittag Weihnachtsstimmung zu verbreiten. An Silvester siehts da nicht viel anders aus. Auch hier heißt es, fort von der Familie, hinaus in die Kälte. Treu harrte da mein Filmteam unterm Maibaum aus, ausgerüstet mit Sekt von der Redaktion und Raketenbündeln, die extra für den Film auch noch in die Luft gejagt wurden. Auch wenn es so mühsam ist: der Blick hinter die Kulissen hat sich für uns immer gelohnt. Immer gab es Interessantes, von dem wir noch nichts wussten, das uns überraschte. Sei es die Proben zum Tanz der Marktfrauen, der Besuch in der Großmarkthalle oder der abenteuerliche Transport des Fünfunddreißigmeter-Maibaums von Trudering auf den Markt.
Vieles, so vieles, können wir im Film nicht zeigen – immerhin rund 4000 Minuten Material mussten zu 90 Minuten zusammengefasst werden – und doch spürt man einiges vom Flair, der Atmosphäre rund um den Markt, der wie ein Mikrokosmos ein so spannendes Abbild unserer großen Welt ist.

Marktimpressionen Fotos: ©BR

Marktimpressionen Fotos: ©BR