Als ich mein Spiegelbild verlor

Deutschland 2001
Regie und Drehbuch: Steffi Kammermeier
Kamera: Albrecht Schinnerer
Ton: Kurt Hüttl
Schnitt: Katharina Sanders
Redaktion: Renate Stegmüller
45 Minuten

Urda Skarda, Foto: ©BR

Urda Skarda, Foto: ©BR

Urda Skarda ist die Ballettlehrerin meiner Töchter.
In ihrem kleinen Studio, direkt über dem Treppenabgang zu den Umkleiden,
(Kleine Schleichwerbung: „Ballettschule Meier, St. Blasienstr. 10, Tel: 089/3507080) hängt ein großes Bild aus den Sechziger Jahren. Zwei Tänzerinnen, ähnlich wie ein Ei dem anderen, sind in schneidiger Jazztanz-Pose zu sehen. „Karin und Urda“ steht unten am Bildrand.

Als ich damals Urda zum ersten Mal nach dieser Karin fragte, standen dieser sonst so positiven und optimistischen Frau plötzlich die Tränen in den Augen. Ja, Karin sei doch ihre Zwillingsschwester meinte sie und begann zu erzählen, von sich, ihrem Leben, ihrer Schwester – und dem unermesslichen Verlust, den Karins früher Tod in ihre Existenz gerissen hatte.

In meinem Film erzählt Urda noch mehr. Von der Geburt in Mähren, der Flucht übers Kurische Haff, tagelangen gefahrvollen Märschen, russischen Soldaten, die die damals vierjährigen Mädchen ziehen lassen, weil die Mutter sie in den Po zwickt, damit sie recht Mitleid erregend weinen. Dann die Ankunft in Bremen, wo Verwandte wohnen. Verlaust, ausgehungert, aber in Sicherheit, und glücklich, endlich irgendwo neu anfangen zu können.

Die beiden Zwillingsmädchen entpuppen sich als äußerst sportlich und gelenkig. Weil sie unbedingt Tänzerinnen werden wollen, sorgt die Mutter für ein Stipendium bei einer berühmten Ballettlehrerin, die sie Jahre später nur ungern ins erste Engagement entlässt.

Urda Skarda, Foto: ©BR

Urda Skarda, Foto: ©BR

In Kaiserslautern beginnt die Karriere der beiden Zwillingstänzerinnen, die zunächst klassische Partien tanzen, dann jedoch den Jazztanz für sich entdecken. Ähnlich den Kessler-Zwillingen tanzen sie sich in die erste Reige des Showbusiness, treten im Fernsehen auf, tanzen im berühmten ZDF-Fernsehballett mit, inszenieren Modeschauen. Der Karriere wird beinahe alles geopfert.

Als Urda sich verliebt und heiratet, fürchtet Karin um die gemeinsame Laufbahn. Auch wenn sie selbst einen Gefährten findet, wohl fühlt sie sich erst, als Urdas Ehe scheitert und sie die Schwester wieder für sich alleine hat. Doch nicht lange dauert das Glück der beiden. Am Tag der Eröffnung ihres gemeinsamen Ballettstudios stellt Karin eine Geschwulst im Bauch fest. Nur ein halbes Jahr später ist sie tot. Krebs. Für Urda ein Schock.

Alleine muss sie nun die neu gegründete Tanzschule leiten, muss ihren Schmerz hinunter schlucken und – ganz nach dem Motto „The Show must go on“ – an vorderster Front strahlen. Heute unterrichtet sie Vierjährige ebenso wie gleichaltrige Erwachsene in Jazz- und Modern Dance. Wie Urda den Verlust ihres „Spiegelbildes“ meistert, wie sie sich in ihrem neuen Leben einrichtet und letztlich ihre große Liebe kennen lernt, schildert sie in anrührender Aufrichtigkeit und Wärme.

Karin und Urda, Fotos: ©BR

Karin und Urda, Fotos: ©BR